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30. Dezember 2019

Ein Jod geht um die Welt

mit Jod nach Uelzen

Die Weihnachtsfeiertage sind harte Nüsse. Ein Fest der unerfüllten Erwartungen. Es müssen Entscheidungen gefällt werden, wie; zu wem legt man sich unter den Baum? Welche Weihnachtslieder werden abgesungen? Es sind keine Entscheidungen zu Gunsten, es sind Entscheidungen zuungunsten. Und, es sind Entscheidungen, die mit dem normalen Leben nichts zu tun haben. An 364 Tagen im Jahr singe ich weder Oh Tannenbaum noch Oh du Fröhliche, ich singe gar nicht. An 364 Tagen im Jahr gibt es keinen Weihnachtsmann, keinen Engel "Halleluja" und schon gar keine holden Knaben im lockigen Haar. Dieses Jahr lud ich mir den brimborialen Mumpitz nicht auf und flüchtete. Ich fuhr mit der Eisenbahn in meine alte Heimat - nach Hamburg.

Ich musste einem Impuls gefolgt sein, denn als mir das bewusst wurde, war es schon zu spät für eine Umkehr. Der Point Of No Return überschritten. Mögliche Implikationen, die mit impulsgesteuerten Entscheidungen normalerweise einhergehen, werden vom Menschenhirn ausgeblendet oder von der Hypophyse manipuliert! Einer sogenannten Anhangsdrüse. Einem Teil vom Menschenhirn, dem die Bezeichnung Trittbrettfahrer gut stehen täte. Ein Parasit, der sich stets mit ungebührender Vehemenz einzumischen weiss und ungetrübten Entscheidungen im Wege steht.
Von früheren Hamburgreisen hätte ich eigentlich gewusst haben müssen, dass nicht Sex, Drugs oder Rock 'n' Roll die Klippen sind, die es zu umschiffen gilt, sondern es angezeigt wäre, Freunden wie Crazy Horst mit der nötigen Distanz zu begegnen. Allein den Gedanken, Crazy Horst an Weihnachten in Hamburg zu treffen, fand ich abwegig. Hatte er nicht Familie? Musste er nicht, Frucht seiner Lenden, eine fussballmannschaftgrosse Schar von Nachkömmlingen bespassen; wenn nicht gar bescheren? Wenn ich an Hamburg denke, denke ich schon auch an Horst, mais Tempi passati - ich schnappte mir meine Zahnbürste und machte mich mit der druckfrischen Ausgabe meines Eisenbahnermagazins, das ich am Kiosk kaufte, auf den Weg.

Es stellte sich schnell heraus, dass meine Weihnachtsflucht etwas überstürzt war und man heutzutage selbst solcherlei Eskapaden mit langer Hand vorbereiten täte. In Mannheim war der erste Zugausfall, was dazu führte, dass ich zwischen Mannheim und Hannover vor einer der beiden Bordtoiletten stand. Die eine war bereits ausser Betrieb aus München gekommen und die andere musste nach einem mittelschweren Zwischenfall mit Ambulanzeinsatz nach Kassel-Wilhelmshöhe ebenfalls von aussen durch eine Zugbegleiterin abgeschlossen werden.
Längst hatte sich herausgestellt, dass es in Deutschland offenbar gang und gäbe ist, sich an Weihnachten im grossen Stil in Fernreisezüge zu quetschen und in die Ferne zu reisen. Ab Hannover - ich musste mir aus geruchstechnischen Gründen für das letzte Stück meiner Hinreise einen anderen Stehplatz suchen - lichteten sich die Nebel in meinem Kopf und mir wurde unmissverständlich klar, dass der Grossteil meiner Mitreisenden genau wie ich nach Hamburg wollten. Nicht wie erst angenommen zu Mutti fahrend, nein, alle mit dem grossen Schrankkoffer ausgestattet. Es mussten Touristen sein. Alle mit im Internet gebuchten und in Hamburg bereits bereitstehenden, nach Lavendel duftenden Hotelzimmern.

Ich - Reisender aus der Vergangenheit - ging davon aus, die Stadt am künstlichen Darmausgang der Elbe würde über die Feiertage entvölkert und es würde sich schon ein Zimmerchen finden. Ad hoc und ohne dass man seine Schläuche in der Bahnhofsmission ausrollen müsste. Fehlanzeige. "No Vacancies" stand da am Fenster der bereits geschlossenen Zimmervermittlung beim Hauptbahnhof.
Nächster Versuch: Jugendherberge am Stintfang. Man beschied es mir mit freundlichem Bedauern, aber die letzten Schlafplätze seien bereits im Oktober On-line weggegangen. Als ich mir zur Stärkung noch eine heisse Schokolade aus dem Automate zog, sah ich im Augenwinkel eine russische Familie aus einem der Schlafsäle kommen. Oligarchen! War der Gedanke, der mir zuerst durch den Kopf schoss. Mafia der (vorgezeichnete) zweite. Frauen und Männer von oben bis unten eingezobelt. Nicht bloss diese bescheuerten Pelzkragen wie sie bei uns wieder in Mode gekommen sind. Vollkörperbenerzt mit Goldapplikationen und Designertäschchen. Ein düsteres Bild. Es fröstelte mich leicht, dachte kurz, ich sei bereits in Sibirien.
Die Hotelsituation schien tatsächlich im grossen Stil aus dem Ruder gelaufen zu sein, wenn bereits die Russen in den Herbergen logieren.

Aber was soll's, zum Glück gibt es ja noch die Obdachlosen und die Karitativen. Ich fand ein Lager im Haus Sonnenschein, einer Notschlafstelle für Bedürftige. Wunderschön gelegen zwischen Bille und Bullenhuser Kanal. Eine streng riechende aber freundliche Lady in Kittelschürze und stark behaarten Oberarmen händigte mir einen im November frisch gewaschenen Schlafsack aus und las mir meine Rechte vor. Keine Drogen, keine Nutten und um 21 Uhr ist Lichterlöschen, dann wird auch die Aussentüre abgeschlossen.

Ich fand einen Platz zwischen einem glatzköpfigen Herrn mit diversen selbstgestochenen Nazitattoos zu meiner Rechten und Herbert auf der anderen Seite. Herbert hatte Frauenkleider an und war sehr kommunikativ. Er freute sich wie ein Blumenkind als ich meinen Schlafsack neben ihm ausrollte und quasselte ungebremst auf mich ein - auf Platt. Einer Sprache, die ich leider nur vom Hörensagen kannte. Nach einer Weile stellte ich fest, dass die Blumenkindassoziation wahrscheinlich mit dem Veilchen zu tun hatte, welches sein Gesicht zierte. Ich fragte ihn, ob es ihm was ausmachen täte seine Rede in einer anderen Sprache zu halten, da ich sonst nichts verstehen würde. Auf Deutsch erzählt er mir von der Auseinandersetzung, die er mit Thorsten hatte. Thorsten musste der Herr mit den Tattoos sein, der gerade Backbord vor Anker ging und den Herbert während seinen Erzählungen nicht aus den Augen liess. Für mich als Mann von den Bergen hat "vor Anker gehen" keine eigentliche Bedeutung. Es sah aber irgendwie genau so aus, denn der angebliche Thorsten drehte sich von uns weg und stellte sich schlafend, fand an unserem Gespräch wohl kein Interesse.
Kein Interesse fand ich wiederum an dem Gedanken, mich jetzt schon hinzulegen. Draussen hat es gerade eingedunkelt - nun, gefühlt wenigstens. Ich wollte noch um die Häuser ziehen. Heiligabend am Heiliggeistfeld, Schrille Nacht im Sorgenbrecher.
Meine Hauptsorge galt der Schliesszeit. Bis um 21 Uhr, die Zeit, wenn die Schliesserin durch den Trakt geht, schaffe ich es zu Fuss gerade bis zum ersten Taxistand.
Herbert, dem ich meine diesbezüglichen Sorgen klönte, lachte und zeigte mir den "Noteingang". Offenbar konnte man eine Feuerleiter hochklettern, dort einen Riegel umlegen, der ein Fenster im Erdgeschoss entriegelte, durch das man nach 21 Uhr einsteigen konnte.
Ich verabschiedete mich von meinen neuen Freunden und tauchte ein, ins pulsierende Nachtleben der Freien und Hansestadt Hamburg. Präziser gesagt: Sankt Pauli, denn was soll ich nachts in Wandsbek oder in Winterhude? Die grossen Abenteuer erlebt man auf Sankt Pauli oder dann höchstens noch im benachbarten Ottensen, falls man noch die ominöse Grenze am Nobistor zu übertreten in der Lage ist.

Ich begann meinen Streifzug am Spielbudenplatz. In einer düsteren Bar, da wo früher das Molotow war, bestellte ich mein erstes Astra und klebte meinen Ellenbogen auf die lackierte Tresenoberfläche. Die Musik war laut und schlecht, so wie ich das von früher noch kannte. Eine wehmütige und fast schon weihnächtliche Stimmung hob in mir an. Es hat sich zwar viel verändert in Hamburg, aber beim genaueren Hinsehen waren es lediglich eine Menge Oberflächlichkeiten. Die Skyline, die früher aus grünen Kirchtürmen bestand, wird heute von tanzenden Hochhäusern und Prestigebauten dominiert. Die Menschen, die durch die Strassen strömen, sind nach wie vor partyhungrige Touristen, betrunkene Junggesellenabschiedler und Pinneberger.

Den eigentlichen Hamburger gibt es nicht. Es gab ihn entweder nie, oder er ist ausgestorben. Windigen Studien zu Folge soll es noch ein paar Exemplare geben. Angeblich wurden vereinzelt, entspassifizierte Spiesser beobachtet, die zum Lachen in ihre Winterhuder- oder Wandsbekerkeller gingen und die behaupteten Urhamburger zu sein.

Der Sorgenbrecher war leider brechend voll, sodass ich mich zig und zag über Wohlwill- Otzen- und Bundesstrasse Richtung Schulterblatt vorarbeitete.

Auf Crazy Horst traf ich in der Astrastube. Er hatte sich gerade eine Knolle Astra bestellt und war ausser sich vor Freude, als er mich erblickte. Die Freude war ganz meinerseits. Ich ahnte noch nichts von dem Unheil, das durch dieses zufällige Treffen seinen Lauf nahm und das mein Leben umkrempeln würde.
Bei den Horstens wurde erst am zweiten Weihnachtsfeiertag so richtig gefeiert, klärte er mich auf. Frau und Kinder waren Heiligabend bei Oma und Opa mütterlicherseits. Er - Crazy Horst - hatte damals bei der Geschichte mit dem verseuchten Fischtank beim Elbtunnel, jegliches Wohlwollen seitens der Schwiegereltern verspielt, sodass er seit ein paar Jahren Familienfeierlichkeiten dieser Art fern bleibt, um die Häuser zog und sich jeweils einen schönen Abend macht auf dem Kiez.

Mit alten und neuen Geschichten brachten wir uns in Stimmung. Dazu setzten wir das ein oder ander Bier in Umlauf. Horst erzählte von seinen Kindern und vom Landleben. Er hatte sich eine kleine Herde Ziegen angeschafft und stellte Käse her. "Verrücktes Huhn" dachte ich. Ich erzählte aus dem spärlichen Fundus meiner Abenteuer. Aus einem Ninetofiveleben eines Angestellten ohne Kinder. Ich musste aufpassen, dass ich keine Ereignisse, von denen ich aus Gratiszeitungen erfuhr, als Geschichten zum Besten gab, die ich selber erlebt hatte. Allerdings war ich immer noch ein wenig stolz darüber, dass wir es in der Schweiz geschafft hatten den Atomausstieg anzugehen. Ohne böse Absicht, mir gingen schlichtement die Themen aus, berichtete ich ihm von der Abschaltung von Mühleberg.
Crazy Horst machte ein ernstes Gesicht und meinte mit in Falten gelegter Stirn, er habe davon gehört. Ohne Umschweife fragte er mich, ob ich meine Jod-Tabletten noch hätte. Die Jod-Tabletten, die wir in der Schweiz in alle Haushalte geschickt gekriegt hätten, erklärte mir Horst, enthalten offenbar nebst dem Jod noch einen anderen Wirkstoff. Ein Molekül, welches in Deutschland längst auf der Liste der verbotenen Substanzen im Anhang vom Betäubungsmittelgesetz aufgetaucht sei. Er bekniete mich, ihm so viele Packungen wie möglich zu schicken. Er verkaufe die Tablette angeblich für einen Fünfziger auf der Gasse.
Ich lachte ihn aus, ich fand den Witz gut. Horst aber blieb ernst. Die schweizerischen Jod-Tabletten seien hier der letzte Schrei, was Sexdrogen betreffe, klärte Horst mich auf. Immer noch leicht belustigt, wollte ich von ihm wissen, ob er das Zeug überhaupt schon mal in echt gesehen hatte. Er verschwand auf der Toilette und liess mich mit meinen aufkeimenden Zweifel am Tresen zurück. Konnte es sein, dass an der Geschichte etwas dran war? Letztlich reicht es für den Schwarzmarkt ja, dass es Idioten gibt, die an die Wirkung glaubten und dafür Scheine locker machten. Nashornpulver - das Potenzmittel meiner Urgrossväter - erzielt nach wie vor Preise in astronomischen Bereichen, ist aber in etwa so wirkungslos wie das Pulver aus den eingewachsenen Zehennägeln Trumps.

Crazy Horst erzählte mir, nachdem er vom Wasserabschlagen zurückgekehrt war, dass er sich neulich eine Tablette im Bier auflöste und selber gegönnt hatte. Er erzählte, dass er in eine Art Trance gefallen wäre, die ihn erst an seine ersten LSD-Experimente erinnerte. Intensive Farben in unendlichen Bögen über das unendlich aufgespannte Bewusstsein gespannt. Sanft klingende Düfte und wohlparfümierte Klänge aus den nackten Ärschen von herumfliegenden Jungfrauen. Als er drohte in der pinkfarbenen Wollust zu versinken und kurz eine Erstickungspanik aufkam, wurde er von zwei leuchtenden Wikingerinnen gerettet. Fast nackt, Brüste gross wie Medizinbälle, die durch einen viel zu kleinen Lederbikini zusammengehalten wurden.
Sie packten ihn an Armen und Beinen und flogen mit ihm auf ihr Schiff. Mit den Flügeln an ihren Helmen konnten sie irgendwie fliegen und unterwegs mussten sie mit ihren Schwertern unzählige Meeresungeheuer ausschalten indem sie ihnen die nachwachsenden Köpfe abschlugen.

Sie warfen ihn auf einen Wolkenturm aus Zuckerwatte und machten sich sogleich über ihn her. Auf seinem Bauch sitzend, ölten sie sich mit Arganöl gegenseitig solange ein, bis ihre Brustwarzen hart waren wie Gummischrotgeschosse. Crazy Horst, durch die Erzählung etwas heiser geworden, schwitzte bereits unter den Armen. Der Ausgang dieses Jod-Tabletten-Fiebertraums behielt er dann zum Glück für sich. Ich hatte aber den Eindruck, dass er nicht mehr allzu lange angedauert haben konnte, denn auf meine Frage, ob sich die Regenbogenfarben bis zum Schluss stabil hielten, antwortete er nicht, sah mich bloss mit Unverständnis an.

Noch einmal schärfte er mir ein, ihm unverzüglich meine Jod-Tabletten nach Deutschland zu schicken. Dabei war sein Blick so leer wie der von einem Junkie nach dem letzten Schuss. Ohne ein weiteres Wort verliess er die Astrastube. Ich bezahlte und folgte der Bundesstrasse Richtung Süden. Irgendwo musste sie die Bille kreuzen, eine gespenstische Bettschwere zog mich plötzlich nieder.

Meine Gedanken überschlugen sich. Auf einmal war mir klar, dass es wahrscheinlich als Glücksfall zu werten war, dass ich Horst gegenüber mit keinem Wort erwähnt hatte, dass ich die Jod-Tabletten stets in meiner Herrenhandtasche mit mir mitführte. Zu Hause nützen mir die Tabletten nämlich herzlich wenig, wenn meine Schilddrüsen nicht zu Hause sind, sondern in der unmittelbaren Umgebung eines nuklearen Störfalls mit austretender Radioaktivität. Wenn die Geschichte wahr war, die Horst erzählte, und er gewusst hätte, dass ich das Zeug bei mir trug, hätte er wohl unter Zuhilfenahme von Waffengewalt die Herausgabe der Tabletten erzwungen.

Der Weg nach Billbrook war lang und ich hatte genug Zeit mir einzureden, dass sich alles so zugetragen haben musste, wie es Horst in der Astrastube erzählte. Wenn ich erst noch Zweifel hegte, so waren sie bei der Ankunft bei meinem Schlafplatz gänzlich verflogen und ich sehnte mich nach Regenbögen und märchenhaften Düften und Klängen.
Herbert und Thorsten schnarchten zum Glück laut und deutlich und ich rollte mich in meinen Schlafsack. Da ich kein Bier zur Hand hatte um sie darin aufzulösen, rollte ich die Jod-Tablette unter meine Vorhaut. Eine Praxis, die ich vom Hörensagen kannte. Angeblich würden bei dieser Anwendung von Medikamenten, die Wirkstoffe ähnlich langsam und wohldosiert verabreicht wie Asbestfasern bei einem schadhaften Bodenbelag aus den Siebzigerjahren.

Ich war meinen Eltern dankbar dafür, dass sie mit mir nach meiner Geburt nicht zu einem Beschneider gerannt waren, um das unscheinbare Hautstück entfernen zu lassen. Es in die ewigen Jagdgründe zu verbannen oder gar einem fraglichen Gott zu opfern. Ich wusst aber, dass sie keinen Moment vor einer solch bestialischen Tat zurückgeschreckt hätten, ja mein Vater den Eingriff wahrscheinlich eigenhändig mit dem schrundigen Armeetaschenmesser vollzogen hätte, hätten sie geahnt, dass der Filius damit Unfug treiben wird. Drogenexperimente, auch wenn erst in der zweiten Lebenshälfte durchgeführt, stiessen bei meinen Eltern nicht gerade auf Gehör.
Eine grüne Katze fauchte mich von der Seite her an. Zuerst dachte ich, es wäre Thorsten, doch der lag da gar nicht mehr. Die Katze hatte diesen leeren Blick, den ich schon bei Horst vorher in der Astrastube wahrnahm. An den Haarenden ihres Fells bildetet sich ein bläuliches Elmsfeuer und sie setzte zum Sprung an. Augenscheinlich wollte sie mir an die Kehle. Ich rannte los. Sie folgte mir, hatte mit ihren kurzen Stummelbeinchen jedoch nicht den Hauch einer Chance. Ich rannte weiter durch einen grauen Korridor, der sich zu biegen schien. Die Wände schimmerten in den wildesten Grautönen. Es roch nach Schimmel. Plötzlich stand ich mitten in einem See. Die Flüssigkeit, die mir bis zu den Knöcheln stand, war aber nicht Wasser. Von der Konsistenz und vom Geruch her musste es sich um Blut handeln. Ich erwartete in kindlicher Vorfreude, jeden Moment Regenbögen zu sehen, doch es blieb grau. Ähnlich wie in den Erzählungen Horsts, versank ich in der Brühe, wurde aber von keinen walkürenhaften Weibern gerettet. Es wurde dunkel und ich steckte in einer Art Zwischenwelt. Nach gefühlten zwei Wochen schimmerte es am Rand und ich wurde an einen Strand gespült. Ich wusste nicht, ob ich gerettet war, oder ob ich nun lebenslänglich in diesem Traum gefangen war. Mein Puls hämmerte bis zum Hals und so bemerkte ich die Seile nicht, die sich mit ihren Lastschlingen um meine Handgelenke legten und mich aus der stabilen Seitenlagerung hinaus, in die Mitte der Gesellschaft zogen.

Tags darauf erwachte ich früh. Von draussen drang noch tiefe Dunkelheit durch die dreckigen Fenster und in den anderen Pritschen um mich herum wurde noch friedlich geratzt. Thorsten und Herbert lagen friedlich und schnarchten. Ich hatte eine Morgenlatte von einer Härte, die mich an meine Jugendzeit in den Neunzigerjahren erinnerte. Der erste Griff in die Hose liess mir allerdings beinahe das Blut gefrieren. Die Hand die ich rauszog, war...

Nein stopp! Keine weiteren Details. Berufe ich mich an dieser Stelle doch einfach auf meine literarische Freiheit und lasse diesen Teil der Erlebnisse mit gebührender Akzentuierung im Raum stehen:

...zu meinem Erstaunen hat sich die Jod-Tablette in der Nacht vollständig aufgelöst. Keine Rückstände. Wirkstoff, sowie Wirkstoffträger mussten irgendwie restlos vom Gewebe aufgenommen worden sein.

Ich zog mich hastig an, verliess die Notunterkunft Richtung Hauptbahnhof, wo ich in der Eile fälschlicherweise den 5:58 Metronom nach Uelzen bestieg. Dass ich den falschen Zug bestieg und dadurch meinen ICE nach Basel, für den ich einen Fahrschein mit Zugbindung hatte, verpasste, war mir einerlei. Von früheren Bahnreisen wusste ich, das würde sich schon irgendwie ausgehen. Mir war in diesem Moment wichtiger dass ich a.) Den Männerschlafsaal verlassene konnte, bevor einer der Mitschläfer erwachte und mein Morgenholz entdeckte und dass b.) Die Weihnachtsfeiertage vorbei waren und zu Hause wieder Normalität eingekehrt werden wird, wenn ich zurück sein werde.

Über die Geschehnisse meiner gescheiterten Drogenexperimente werde ich wohl ein Mäntelchen des Schweigens legen müssen, will ich nicht enterbt werden.


D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h

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Kommentare (2)  - Etwas Senf dazu?